Von Schock und Ordnung

Das Herz von Petronilla KW30

Die Aufgaben der Woche

Schock & Schrecken

 

So wie bei jedem Beruf - vor allem bei menschenfokussierten Berufen - kann es bei der Gemeindearbeit neben den erfüllenden Tätigkeiten und den eher monotonen Aufgaben auch manchmal zu erschreckenden und unerwarteten Situationen kommen. Das habe ich in den letzten Wochen in ein paar Momenten wieder gemerkt.

 

Eine dieser Situationen spielte sich ab, während ich in Dyckburg war, um den Aufsteller des Bonifatiuswerks in der Kirche St. Mariä Himmelfahrt mit Kirche im Kleinen-Heftchen wieder aufzustocken. Als ich die Kirche verlies, warf ich einen kurzen Blick auf das Plakat mit dem Regenbogenherzen, das - so wie bei jedem unserer Kirchstandorte - auch in Dyckburg steht. Doch diesmal war mit diesem Plakat etwas anders. In der rechten Ecke des Plakats stand etwas in orange geschrieben. Ich befürchtete da schon, dass das nicht Worte der Zufriedenheit und Dankbarkeit ware. Als ich näherkam und die wütenden Smileys, die neben den Text gemalt wurden, sowie die Fülle an Ausrufezeichen und unterstrichenen Worten entdeckte, war ich mir sicher.

Auch wenn mir die Art, wie diese Botschaft vermittelt wurde, sowie der Tonfall mißfiel, lies ich mir die 13 Zeilen mit einem möglichst offenen Geist durch, um der Person dahinter mit dem Respekt zu begegnen, der jedem Menschen gebührt. Und während ich die Wahrnehmung eines anderen Menschen keinesfalls entkräften möchte, habe ich zu so manch einem Punkt eine andere Position, die ich hier kurz aufführen möchte.

Die Hauptaussage des Textes war, dass es absolut nutz- und sinnlos sei, solche Plakate aufzustellen, weil es lediglich der Eigen-PR und Selbstdarstellung diene und "selbstverständliches als unselbstverständlich darstell[e]". Natürlich ist es eigentlich selbstverständlich, dass Gott jeden Menschen (egal welcher sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität) lieb, aber leider ist es nicht selbstverständlich, dass die katholische Kirche das anerkennt. In Münster ist die katholische Kirche glücklicherweise recht fortschrittlich und offen, aber selbst hier gibt es solche, die noch in den - meiner Meinung nach - veralteten heteronormen Dogmen feststecken. Noch vor kurzem hat mir Pfarrer Jürgen Streuer erzählt, dass er bei einem Gottesdienst außerhalb ein paar inklusive Wörter hat fallen lassen und danach von einer der anwesenden Personen darauf angesprochen wurde, dass Themen wie das Diakonat der Frau und queere Identitäten absoluter Unsinn seien, was Jürgen eindeutig anders sieht. Ein Mensch, der in unserer Gemeinde eigentlich lange zu einem regelmäßigen Kirchengänger zählte, weigerte sich auch zu unseren Gottesdiensten zu gehen, solange an der Kirche dieser "Schwulenlappen" - wie er die Regenbogenflagge nannte - hängt. (Den Begriff "Schwulenlappen" nutze ich übrigens mit meinem queeren Freundeskreis mittlerweile fast ausschließlich für Pride Flags jeder Art.)

Aber daran sieht man: die Botschaft, die die Plakate außerhalb unserer Kirchen vermitteln, ist selbstverständlich, dass sie von allen Mitgliedern unserer Kirche so auch anerkannt wird, ist unselbstverständlich. Ich kann für mich sagen, dass ich mich durch solche Plakate, eine inklusive Sprache (bspw. durch geschlechtsneutrale Formulierungen, Erwähnungen nicht-klassischer Lebensformen in der Liturgie, etc.) u. ä. willkommener, angesprochener und sicherer fühle.

 

Ein Tag nachdem ich den Text auf dem Plakat entdeckte, erwartete mich der nächste Schreck. Als ich morgens das Pfarrbüro betrat, bemerkte ich, dass Pfarrsekretärin Martina Fölling und Sascha, der für die letzten sechs Wochen (bis letzten Freitag) einige Aufgaben im Pfarrbüro übernahm, verunsichert in den Spalt zwischen dem Safe mit den wichtigen Dokumenten und der Wand blickten. Wie ich bald erfuhr, ist da ein Vogel zwischengefallen, der alleine nicht entkommen konnte. Um ihn nicht verkommen zu lassen, suchten wir alle Schirme, Stiele und Stöcke, die wir finden konnten, zusammen. Als wir endlich einen Stock fanden, der dünn genug war, um in den Spalt zu kommen, aber lang genug, um den Vogel zu erreichen, reichte ich vorsichtig den Stock unter das schutzlose Tier und hob ihn an. Weil der Spalt unten enger wurde, war der Vogel so eingequetscht, dass es ein wenig Kraft benötigte, um ihn anzuheben. Da schrie er kurz auf; das hat mein Herz schon ein klein wenig zerbrochen. Es gelang mir aber, ihn langsam anzuheben und der Freiheit näherzubringen. Für einen kurzen Moment, bevor der Vogel vollständig befreit war, blickten wir einander in die Augen und ich hatte den Eindruck, dass in diesem Moment ein stilles Verständnis zwischen uns herrschte. Er sah mich an, als hätte er nun verstanden, dass ich ihm eine Hilfe sein wollte.

Sobald es ihm möglich war, breitete er wieder seine Flügel aus, flatterte ein bisschen durch das Büro und flog dann (mit etwas menschlicher Hilfe) wieder in die Natur. 

 

Diese Woche gab es auch wieder eine unerwartete Situation, die mich gefordert hat. Ich war alleine im Pfarrbüro, wo ich außerhalb der Öffnungszeiten des Pfarrbüros noch einige Briefe für die Messdienenden in Umschläge gepackt hat. Obwohl das Büro offiziell zu dieser Uhrzeit geschlossen hatte, konnte ich mich nicht dazu bringen, das Klingeln zu ignorieren. Die Person, die geklingelt hatte, war eine Dame in einer finanzielle Notlage an, die um einen Lebensmittelgutschein - wie sie in manchen Fällen im ökumenischen Sozialbüro gegeben werden - bat. Natürlich bin ich nicht befugt, einen solchen auszustellen und kenne mich auch nicht mit den Verfahren des Sozialbüros genau aus. Da zu diesem Zeitpunkt Pastoralreferent Hans-Dieter Sauer, der sonst eine der hauptverantwortlichen Personen für das Sozialbüro ist, im Urlaub war, konnte ich sie auch nicht mit ihm in Kontakt setzen. Überfragt wie ich in dieser Situation war, rief ich Pfarrsekretärin Marion Althoff an, die an dem Vormittag von dem Tag auch schon im Pfarrbüro war an und bat um Rat. Glücklicherweise war sie nicht weit entfernt und sagte mir, sie käme sofort und kümmere sich.

Also lies ich die Dame, die noch vor der Tür stand, rein, damit sie im Trockenen warten konnte. Nach kurzer Zeit kam Marion dann und sprach mit ihr. Sie fanden dann einen Kompromiss für den Tag, auch wenn es nicht für eine langfristige Lösung reichte. Es war eine große Erleichterung, dass mir solch eine harte Entscheidung nicht alleine zufiel.

Die Wahrheiten im Wort

"Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag. Dann sprach Gott: Es werde ein Gewölbe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. Gott machte das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. Und so geschah es. Und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag. Dann sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort und das Trockene werde sichtbar. Und so geschah es. Und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Gott sah, dass es gut war. Dann sprach Gott: Die Erde lasse junges Grün sprießen, Gewächs, das Samen bildet, Fruchtbäume, die nach ihrer Art Früchte tragen mit Samen darin auf der Erde. Und so geschah es. Die Erde brachte junges Grün hervor, Gewächs, das Samen nach seiner Art bildet, und Bäume, die Früchte tragen mit Samen darin nach ihrer Art. Gott sah, dass es gut war. Es wurde Abend und es wurde Morgen: dritter Tag. Dann sprach Gott: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen als Zeichen für Festzeiten, für Tage und Jahre dienen. Sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, um über die Erde hin zu leuchten. Und so geschah es. Gott machte die beiden großen Lichter, das große zur Herrschaft über den Tag, das kleine zur Herrschaft über die Nacht, und die Sterne. Gott setzte sie an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde leuchten, über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war. Es wurde Abend und es wurde Morgen: vierter Tag. Dann sprach Gott: Das Wasser wimmle von Schwärmen lebendiger Wesen und Vögel sollen über der Erde am Himmelsgewölbe fliegen. Und Gott erschuf die großen Wassertiere und alle Lebewesen, die sich fortbewegen nach ihrer Art, von denen das Wasser wimmelt, und alle gefiederten Vögel nach ihrer Art. Gott sah, dass es gut war. Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch! Füllt das Wasser im Meer und die Vögel sollen sich auf Erden vermehren.Es wurde Abend und es wurde Morgen: fünfter Tag. Dann sprach Gott: Die Erde bringe Lebewesen aller Art hervor, von Vieh, von Kriechtieren und von Wildtieren der Erde nach ihrer Art. Und so geschah es. Gott machte die Wildtiere der Erde nach ihrer Art, das Vieh nach seiner Art und alle Kriechtiere auf dem Erdboden nach ihrer Art. Gott sah, dass es gut war. Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen! [...] Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut. Es wurde Abend und es wurde Morgen: der sechste Tag. So wurden Himmel und Erde und ihr ganzes Heer vollendet. Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk gemacht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk erschaffen hatte."

Gen. 1, 1 - 2, 3

 

Es war mir ein Anliegen, mich mit dieser Bibelstelle zu befassen, weil ich bereits zweimal von dem sowohl kompetenten, als auch sympathischen Dozenten und ehemaligen Lehrer des Gymnasiums St. Mauritz Dr. Guido Hunze Referate über eben diese Stelle gehört habe. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, einige Irrtümer bezüglich dieser Stelle aus der Welt zu schaffen und ich will ihm hiermit dabei helfen.

 

Zunächst einmal kämpft er vehement gegen der Bezeichnung des "Schöpfungsberichts". Ein Bericht ist eine Darstellung von Fakten, was - egal was Fundamentalisten behaupten - Genesis gar nicht versucht zu sein. Viel mehr ist Genesis 1 als Schöpfungshymnus zu bezeichnen; ein Lied sozusagen. mit der Bezeichnung macht das Lesen auch mehr Spaß, weil man in den Sätzen, die sich immer wieder wiederholen, den Refrain erkennen kann und die Strophen in den Beschreibungen der Tage. Die Redundanz einiger Sätze ist kein Zeichen fehlender literarischer Kompetenz, sondern ein Hauch Musik.

Wo wir schonmal bei Begriffsbezeichnungen sind, ist Dr. Hunze auch genervt davon, wenn Schöpfung und Natur gleichgesetzt werden. Es gibt mit Sicherheit große Überschneidungen zwischen den Begriffen, aber wenn wir sie als Synonyme benutzen, gibt es - so Dr. Hunze - keinen wirklichen Nutzen für den Begriff Schöpfung. Die theologische Perspektive hätte nichts neues zu dem Thema Nachhaltigkeit beizutragen.

 

Wie sollen wir den Begriff dann behandeln? Blicken wir mal auf die Themen dieser Bibelstelle. Dafür hilft es, den historischen Kontext zu kennen, zu dem der Text verfasst wurde.

Er wurde mitten im babylonischen Exil verfasst. Die Menschen des Volks Israel mussten ihre Heimat verlassen mit allen Sicherheiten, die ihr Leben definierten und kamen in ein völlig fremdes Umfeld mit einer anderen Kultur. Der Druck, den Glauben aufzugeben wuchs - sowohl von innen, als auch von außen. Es war wüst und wirr.

Diesen Menschen hat es dann mit Sicherheit geholfen zu hören, dass Gott schon aus dem großen Chaos vor der Entstehung der Welt die universale Ordnung geschaffen hat. An jedem der Tage entsteht etwas, das für Orientierung und Ordnung sorgt - einerseits auf zeitlicher Ebene (v. a. durch die Himmelskörper), andererseits im Aspekt des Lebensraums und der Wesen, die sie bewohnen. Der Schöpfungshymnus sagt den Menschen im Exil: "Gott schafft Ordnung aus Chaos - auch aus diesem Chaos." Die Theologin Gabriele Miller bezeichnet Schöpfung als "durch das Chaos hindurchglauben". Und weil der Mensch Abbild Gottes ist, können auch wir Ordnung schaffen.

 

Dr. Hunze sieht Schöpfung daher als eine Art Brille, mit der wir alle Aspekte des Lebens betrachten können. Das sorgt für einen hoffnungsvollen und leidenschaftlichen Umgang mit schweren Situationen, Mitmenschen und, ja, auch der Natur. Und weil der Schöpfungshymnus so viele Extreme aufführt (Tag und Nacht, das Meer und das Trockene) können mithilfe dieses Textes lernen, ein weites Spektrum an Erfahrungen und Phänomenen zu lieben: vom Tag über Abend- und Morgengrauen bis zur Nacht, von Frau über das unendliche Geschlechtsspektrum bis zum Mann, von den Fischen über Reptilien und Säugetieren bis zu Vögeln. Aus dieser Liebe wächst dann fast automatisch eine Leidenschaft, genau dafür einzustehen und das zu schützen.