Von Leben, Regeln und einer Küsterin

Das Herz von Petronilla KW6

Die Aufgaben der Woche

Begleitung durch das Leben

Einen wunderschönen guten Tag,

eine der zentralen Aufgaben für uns als Kirchengemeinde liegt darin, Menschen durch ihr Leben zu begleiten. Vor allem zum Lebensanfang und -ende spielt die Kirche für viele Menschen eine bedeutende Rolle. Was ich in den letzten Wochen davon mitbekommen habe, schildere ich im Folgenden.

 

Es ist für viele Eltern eine Selbstverständlichkeit, ihr Kind zu taufen - auch wenn sie nicht sonderlich religiös sind. Bei der ein oder anderen Taufe durfte ich auch schon dabei sein. Einmal durfte ich sogar zusammen mit Pfarrer Jürgen Streuer den Kindern einen Segen durch das Kreuzzeichen auf der Stirn schenken und sie in der Gemeinde willkommenheißen. Es ist schon was Besonderes, diesen frischen Menschen, die noch so viel vor sich haben, etwas auf ihren Lebensweg mitzugeben, auch wenn es nichts Greifbares ist und sie sich nicht daran erinnern werden, kriege ich dabei den Eindruck, die Seele dieses Menschen angehaucht zu haben. Und darum geht es ja in gewisser Weise in der Taufe: Menschen Segen, Schutz und Sicherheit für ihren Weg zu spenden.

Um die Feierlichkeiten und Riten rund um dieses Fest der Taufe zu organisieren, bedarf es natürlich etwas Planung und Vorbereitung. Von Seiten der Gemeinde finden diese Planungen hauptsächlich im Rahmen von Taufgesprächen statt. Dabei kommen die Eltern in das Pfarrhaus und sprechen mit Jürgen (bzw. wer auch immer das Kind tauft) ab, welche Vorstellungen sie für die Taufe haben. Diese Gespräche sind oft sehr lebhaft, weil sich alle natürlich auf die Feier freuen. Sie ziehen sich glücklicherweise auch nie wirklich in die Länge, weil die Kinder meistens dabei sind und nur bedingt Geduld haben. Wie gesagt, haben nicht alle, die ihr Kind taufen lassen, sehr viel mit der Kirche am Hut. Daher wird zu Beginn des Gesprächs erstmal die Bedeutung der Taufe als Zusage des Schutzes und der Unterstützung Gottes erläutert. Es ist immer schöner, wenn man weiß, worauf man sich einlässt, als den Traitionen nur blind zu folgen ohne ihren tieferen Sinn zu kennen.

Daraufhin kriegen die Eltern einen Zettel mit Informationen über den Namenspatron*die Namenspatronin des Kindes. Schließlich erzählt jeder Name eine Geschichte und jeder Mensch erweitert die Geschichte seines Namens und schenkt ihm neue Bedeutungen. Im weiteren Verlauf des Gespräches wird sich entlang des allgemeinen Ablaufs einer Tauffeier gehangelt, um zu überlegen, welche Lieder, Texte und individuelle Besonderheiten vorkommen sollen. Beispielsweise erwähnte eine Mutter, dass auf der Taufkerze ein Wal zu sehen sein wird; da kam Jürgen die Idee, die biblische Geschichte von Jona, der vom Wal geschluckt und später wieder an Land gebracht wurde, in den Gottesdienst einfließen zu lassen. Und bei den Liedern gibt es ein paar Kassenschlager, die immer wieder für Taufen verwendet werden, wie "Möge die Straße", "Ins Wasser fällt ein Stein" und "Laudato Si". 

(Mal so nebenbei: ich finde das Musikgenre der Kirchenlieder extrem unterbewertet. Natürlich gibt es solche und solche und die Texte sind nicht immer die nuanciertesten, aber sie lassen sich wunderbar singen. Oft, wenn ich an einem abgelegenen Ort  spazieren bin oder alleine in einer Kapelle sitze, singe ich einfach Kirchenlieder die mir gefallen (z. B. "Da wohnt ein Sehnen tief in uns" oder "Meine engen Grenzen"). Das ist auch eine Form des Gebet, die mir näher ist als die meisten anderen Formen.)

Während des Taufgespräches wird auch immer viel gelacht. Jürgen hat wirklich ein besonderes Talent dafür, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, damit sich Menschen wohlfühlen. Er hat Manieren, aber auch Humor und geht individuell auf Menschen ein, ohne sich dabei zu verstellen - Eigenschaften, die ihn zu einem perfekten Pfarrer machen. Wovon ich überrascht war, als ich hier anfing, war Jürgens freche Seite. Innerhalb des Teams kommt es immer mal wieder zu einem gutartigen, fröhlichen Necken, was für eine super Stimmung ohne Langeweile sorgt. Und Jürgen ist dabei einer der Mitarbeitenden mit den geistreich-witzigsten Kommentaren. Doch bei Menschen, die hier nicht arbeiten, bleibt er meistens doch nur höflich - aber weiterhin humorvoll. So gab er einer Mutter, deren Nase beim Taufgespräch lief, ein Taschentuch aus dem Besprechungszimmer mit dem augenzwinkernden Kommentar: "Davon haben wir hier genug; hier finden ja auch Trauergespräche statt."

 

Das bringt mich zu einer weiteren Facette der Gemeindearbeit, die ich miterleben darf: die Trauerbegleitung. Dazu gehören zum Einen die bereits erwähnten Trauergespräche - oft auch in Form von Trauerbesuchen. Dabei wird sich mit den Angehörigen einer verstobenen Person zusammengesetzt (entweder im Pfarrhaus oder im Haus der Angehörigen), um das Leben des verstorbenen Menschen zu reflektieren und alles rund um das Begräbnis zu klären.

Von Familie zu Familie gibt es große Unterschiede bei den Gesprächen. Manchmal sitzt man da mit ein oder zwei Angehörigen, manchmal mit dem Großteil der jeweiligen Familie, manchmal hat die Familie schon tausend Ideen für die Auferstehungsfeier (den Gottesdienst vor der Beerdigung), manchmal wollen sie eine Beisetzung ohne Gottesdienst, manchmal wird unentwegt geplaudert, manchmal kommt kaum ein Wort aus den Mündern der Angehörigen. So weiß man nie, was bei dem nächsten Trauergespräch zu erwarten ist.

Wenn die Familienmitglieder dann von der verstorbenen Person und was sie so ausmachte sprechen, wird es für mich besonders spannend, weil ich dann Stück für Stück ein Bild von diesem Menschen, den ich nie kannte, bekomme. "Sie war stets für eine Feier bereit.", "Er wollte immer alles selbst machen.", "Sie wusste, was sie wollte." - das sind typische Sätze, die bei diesen Gesprächen vorkommen, vermischt mit individuellen Anekdoten, von denen einige dann später auch bei der Auferstehungsfeier erwähnt werden. Da stellen sich mir des Öfteren die Fragen: "Wie würden die Menschen in meinem Leben mich beschreiben? Was würde mich laut ihnen ausmachen? Welche Geschichten würden sie erzählen?"

 

Eine etwas subtilere Art der Arbeit mit verstorbenen Gemeindemitgliedern, die ich ausübe, ist das Anzünden von Kerzen. Zwischen der St. Petronilla-Kirche und dem Pfarrbüro befindet sich eine Stele aus Stein, in die eine kleine Abstellfläche mit abgeschlossenem Törchen davor geschlagen ist. Auf diese Fläche werden für jedes verstorbene Gemeindemitglied, das noch nicht beigesetzt wurde, angezündete Kerzen gestellt. Dafür schaue ich im Pfarrbüro auf die Friedhofsdokumente, auf denen die Verstorbenen und die jeweiligen Daten der Beisetzung verzeichnet sind. Ich zähle nach, wie viele von denen noch über Erden sind, suche die passende Anzahl an Kerzen, ein Feuerzeug und den Schlüssel für die Stele raus und stelle die Kerzen darein. Die Symbolkraft von Kerzen ist wirklich faszinierend; ich habe den Eindruck, den Menschen damit einen Dienst zu erweisen, auch wenn sie daraus keinen praktischen, greifbaren Nutzen ziehen.

 

Gelegentlich helfe ich auch bei den Auferstehungsfeiern aus, indem ich Texte lese, den Weihrauch überreiche und/oder das Kreuz von der Kirche/Kapelle zum Grab trage. Weil ich nie ein Mitglied der Messdienenden war, habe ich dabei meistens ein bisschen Angst, ins Fettnäpfchen zu treten, weil ich nicht jeden Bestandteil der Prozedur kenne. Also ist diese Tätigkeit immer ein spannender Schritt außerhalb meiner Komfortzone, wo ich so einiges lernen kann.

Eine besondere Freude habe ich daran, bei Auferstehungsfeiern zu helfen, bei denen Pfarrer Jürgen Streuer predigt. Ich habe sowohl innerhalb, als auch außerhalb unserer Gemeinde schon manch einen Kleriker predigen gehört. Die meisten machen das gekonnt; oft merkt man auch, dass ihnen etwas an dem Thema liegt, aber Jürgen ist noch einmal eine Klasse für sich. Er spricht mit solch einer inneren Ruhe und doch Leidenschaft, dass man gar nicht anders kann als gebannt zuzuhören. Er verbindet die Weisheit eines 100-Jährigen mit der Lebhaftigkeit und Offenheit eines 20-Jährigen. Er scheint jedes Wort der heiligen Schriften auf jeder erdenklichen Ebene zu verstehen und zu fühlen. Wer ihn noch nie im Gottesdienst erlebt hat, sollte das auf jeden Fall auf seine Bucket-List tun.

Wird der Sarg/die Urne schließlich in das Grab gelassen wird, werden noch ein paar letzte Riten getan und Gebete gesprochen. Unter anderem wird das Grab mit Weihwasser bespritzt mit den Worten: "Der Herr vollende an dir, was Er in der Taufe begonnen hat." Wenn ich das höre - insbesondere wenn ich in der gleichen Woche auch ein Taufgespräch hatte - bemerke ich, wie bedeutend Religion und die Kirche in dem Leben der meisten Menschen (auch von denen, die sich nicht als religiös bezeichnen würden) sein kann und welche Verantwortung wir als Vertretende dieser Institution damit tragen.

Der Mensch hinter dem Amt

Küsterin Ulla Göbel

 

Was sind deine Aufgaben in der Gemeinde?

Meine Aufgaben beziehen sich auf die Kirchen St. Petronilla und St. Mariä Himmelfahrt

  • Gottesdienste vor- und nachbereiten
  • Kirchenwäsche teils waschen, bügeln und teils reinigen lassen und kleine Näharbeiten
  • Blumenschmuck
  • Glocken einstellen für die Gottesdienste
  • Weihwasserbecken
  • Kerzen- und Hostienbestellung
  • Leuchter putzen
  • Opferstöcke leeren und Ständer säubern
  • Sorge um die Kirche: Handwerker anrufen und begleiten
  • Verschiedene Dienstgespräche
  • Ansprechpartnerin für Hochzeitspaare

 

Wie bist du dazu gekommen, hier zu arbeiten?

.Jürgen Streuer hat mich gefragt, kurz bevor meine Vorgängerin in Rente ging.

 

Was gefällt dir am meisten an deinem Beruf?

- dass ich den Blumenschmuck machen kann

- die Vielseitigkeit der Tätigkeiten, das gemeinsame Feiern der Gottesdienste und die Begegnung mit den Menschen

 

Wie würdest du deine Persönlichkeit beschreiben?

ruhig, humorvoll, ehrlich, zuverlässig, manchmal auch impulsiv, laut und aufbrausend

 

Was ist deine größte Leidenschaft?

die Liebe zu Pflanzen: meine Topfpflanzen, Stauden und das selbstgezogene Obst und Gemüse

 

Was sollte man noch über dich wissen?

Ich fahre gerne einmal im Jahr für zwei Wochen in Urlaub, um richtig abzuschalten. Jedes Jahr ein oder zwei neue Orte, die ich mit meinem Mann (und früher auch mit unseren drei Söhnen) erkunde.

Die Wahrheiten im Wort

"Und Jesus sagte zu ihnen: Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat. Deshalb ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat. Als er wieder in die Synagoge ging, war dort ein Mann mit einer verdorrten Hand. Und sie gaben Acht, ob Jesus ihn am Sabbat heilen werde; sie suchten nämlich einen Grund zur Anklage gegen ihn. Da sagte er zu dem Mann mit der verdorrten Hand: Steh auf und stell dich in die Mitte! Und zu den anderen sagte er: Was ist am Sabbat erlaubt - Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zu retten oder es zu vernichten? Sie aber schwiegen."

Mk. 2, 27 - 3, 4

 

An dieser Stelle sehen wir einen der Streitpunkte zwischen Jesus und den Schriftgelehrten Seiner Zeit. Die klare Priorisierung des Menschen statt des Gesetzes; was nicht heißt, dass jedes Gesetz total egal ist, sondern, dass es dann, wenn es Menschen mehr schadet als hilft, missachtet werden kann und sollte. Diese zutiefst menschliche Perspektive hat dem Christentum vor allem in den ersten Jahrhunderten seiner Entstehung zum Wachstum verholfen. Wenn man für alles, was man tut oder nicht tut, ein schlechtes Gewissen vermittelt bekommt, kann man sich schließlich in einer Religion oder anderen Gemeinschaften nicht wohl fühlen. 

 

Natürlich sind in den Jahrhunderten seitdem viele Regeln, Riten und Normen in den christlichen Kirchen entstanden. Das hat für mich - und mit Sicherheit für viele anderen auch - zu großen Hemmungen, regelmäßig Gottesdienste mitzufeiern, beigetragen. Und ich bin mir immer noch nicht ganz sicher, wann man im Gottesdienst aufsteht, sich wieder hinsetzt und wann man knien darf. Ich weiß immer noch nicht genau, wann man welche Antwort-Sprüche sagt. Dann ist mir es natürlich unangenehm, in solchen Situationen den anderen Gemeindemitgliedern hinterherzuhinken, doch dann versuche ich mir ins Gedächtnis zu rufen, das das nur Nebensächlichkeiten sind. Natürlich können gemeinsame Riten und Abläufe ein Gemeinschaftsgefühl, sowie Struktur schaffen; aber es ist um einiges wichtiger, mit Liebe zu handeln, Gutes zu tun und Nähe zu Gott auf persönliche Weise zu finden als den Gottesdienstablauf auswendig zu wissen oder das Glaubensbekenntnis hoch und runter aufsagen zu können. Ich habe unseren Bischof Felix Genn mal sagen hören, dass er für jede wichtige Entscheidung auf den heiligen Geist hört. Eine weniger ausdrücklich religiöse Formulierung dafür wäre, auf sein Gewissen oder sein Herz oder sogar sein Bauchgefühl zu hören. Das ist christlich! Nicht immer den einfachen Weg gehen, nicht ohne Überlegung bei jeder Handlung mitmachen, nicht nur in seiner Komfortzone bleiben, sondern stets ein offenes Ohr für sein Herz, sein Gewissen, den heiligen Geist haben, auch mal Regeln brechen und in die Bredouille kommen, um Menschen zu helfen, sich von Liebe leiten lassen! 

Bedenkt man das, fällt es einem auch leichter, mit gutem Gefühl Gottesdienst zu feiern, auch wenn die ein oder andere Tradition einem noch unvertraut ist. Schließlich ist das Schlimmste, was passieren kann, ein kritischer Blick von der Art Mensch, die meint, die bewährten Traditionen seien der einzige Weg zu Gott. Aber selbst soch eine kleinliche Verurteilung habe ich noch nicht erlebt und wenn es dazu käme, würde ich versuchen, mir die Einstellung meiner besten Freundin zu Herzen nehmen: "Sc***ß auf die Meinungen der anderen." Diese Einstellung kann (und möchte) ich zwar nicht übernehmen, aber sie kann recht befreiend sein. Und wenn ich mir solche Bibelstellen angucke, denke ich, dass Jesus ähnlich eingestellt war. Er hätte es zwar vermutlich etwas milder formuliert, aber Er hat sein Verhalten nicht davon abhängig gemacht, ob andere Leute ihre Augen verdreht haben oder ihren Kopf schüttelten - oder ihn dafür kreuzigten. Er hat sich nur von Nächstenliebe und dem heiligen Geist leiten lassen. Religiöse Vorschriften und Traditionen hat Er zwar oft geachtet, aber wenn sie Handlungen der Güte und Liebe im Wege standen, hatte Er keine Vorbehalte, auch unter den kritischen Blicken Seiner Zeitgenossen gegen manch Vorschrift zu verstoßen.

 

Ich habe auch den Eindruck, dass in unserer Gemeinde der Fokus weiterhin immerzu auf dem Menschen liegt. Selbstverständlich werden bei uns die Riten und Traditionen gehalten - das bringt vielen Menschen ja auch ein hohes Maß an Freude und Erfüllung - aber es wird nicht darauf beharrt, dass jede Erwartung, die manche Teile der Amtskirche an die Glaubenden stellt, erfüllt wird. Jemand, der keinen der Antwortgesänge spricht, noch nie im Leben gefastet hat und aus der Kirche ausgetreten ist, ist bei uns genauso willkommen wie jede andere Person.

Dieser Menschen-Fokus spiegelt sich auch in der Gottesdienstgestaltung wieder; von der Amtskirche aus gibt es unzählige liturgische Vorschriften, die die Vorgehensweisen  eines Gottesdienstes genau beschreiben - wer welche Aufgaben übernehmen darf, was oder was nicht zu sagen ist und wer welche Sakramente erhalten darf. Würde man das alles befolgen, würden die Gottesdienste schnell ihrer Individualität, Vielfalt und Denkwürdigkeit beraubt werden. Daher kommt es bei uns auch mal zu leichten Abwandlungen der vorgeschlagenen Vorgehensweisen. Wenn man sich im Team der Seelsorgenden einig ist, dass man die Menschen eher erreicht, berührt und ihnen mehr hilft, wenn ein Ritus etwas anders gehandhabt wird als gewohnt, dann gilt für die hier Tätigen eindeutig, Gutes zu tun und nicht Böses, ein Leben zu retten, statt es zu vernichten.

Vorschriften, Riten und Regeln wurden für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für sie.