Von Radfahrten, Verzweiflung und einem Pastoralreferenten

Das Herz von Petronilla KW8

Lesedauer: ca. 15 min

Die Aufgaben der Woche

Lesedauer: ca. 4 min

 

Auf dem Sprung

 

Wie ich während meiner bisherigen Zeit hier gelernt habe, ist die Arbeit einer Kirchengemeinde nicht auf die Kirchen und die Pfarrgebäude (Pfarrhaus, -heim & -büro) beschränkt. Oft darf ich mich auch auf mein Fahrrad schwingen, um Sachen außerhalb zu erledigen.

 

Eine regelmäßige Aufgabe, für die ich durch Handorf radel, ist das Verteilen von den Pfarrnachrichten jeden zweiten Freitag. Mittlerweile habe ich auch die optimale Route dafür gefunden: ich hole erst im Pfarrbüro die bereits sortierten Pfarrnachrichten ab, gebe dann den ersten Packen am Seniorenzentrum "Handorfer Hof" ab, den nächsten bei der KiTa St. Petronilla, werfe dann ein paar bei dem Briefkasten der evangelischen Zionsgemeinde ein und schließlich hänge ich die Seiten einzeln in unseren Schaukasten bei der Kreuzung Middelfeld-Dorbaumstraße. Um die anderen Schaukästen der Gemeinde kümmern sich die Küster*innen wie Ulla Göbel (mehr über Ulla erfahrt ihr im letzten Beitrag). Schließlich komme ich zurück zum Pfarrbüro, um die alten Pfarrnachrichten aus dem Schaukasten, die ich durch die neuen ersetzt habe, in unserer Datentonne zu entsorgen.

Eine ähnliche Fahrradfahrt unternehme ich auch, wenn es Flyer für Familiengottesdienste o. ä. zu verteilen gibt. Dafür klapper ich die unterschiedlichen Kitas ab und gebe der Person, die mir die Tür öffnet, die Flyer in die Hand; so komme ich auch noch in die hinteren Ecken Handorfs wie den Bereich rund um Hornheide und das Industriegebiet. Solche Touren finde ich immer sehr entspannend und idyllisch (auch wenn ich alle paar Minuten anhalten muss, um die Flyer auszuhändigen).

 

In der Gemeindearbeit - und insbesondere in einem Freiwilligen Sozialen Jahr - kann man aber natürlich nicht vermeiden, auch mal enger mit Menschen in Kontakt zu kommen. So gibt es gelegentlich Situationen, in denen Gemeindemitglieder von uns Besuch bekommen. Ein nennenswertes und schönes Beispiel dafür sind die Geburtstagsbesuche. Wenn ihr nun "Geburtstagsbesuche" lest und enttäuscht seid, dass bei euch noch nie Mitarbeitende der Gemeinde vor der Tür standen, um euch zum Geburtstag zu gratulieren, seid nicht traurig; das heißt nämlich, dass ihr noch richtig jung seid! Diese Geburtstagsbesuche bekommen Gemeindemitglieder nämlich erst zum 80. Geburtstag (und dann zum 85. und ab dem 90. jedes Jahr).

Doch wie verläuft solch ein Besuch? Anfangen tut es immer gleich: man macht sich mit einer großen Flasche Saft und einer Geburtstagskarte auf den Weg zum Geburtstagskind. Doch ab dem Zeitpunkt, wo wir anklingeln, kann man nicht klar sagen, was als nächstes passiert. Hat man ganz viel Pech, ist die Person nicht zuhause - das habe ich aber noch nie erlebt. Es kann auch sein, dass das Geburtstagskind die Tür aufmacht und die Geschenke dankend annimmt und wir uns dann wieder auf den Weg machen können. Doch oft werden wir auch reingebeten und mit schöner westfälischer Gastfreundschaft empfangen. Meistens ist auch schon eine Geburtstagsfeier im Gange, in die wir dann reingeraten. Das Maß dieser Feiern unterscheidet sich auch massiv. So war ich vorletzte Woche bei einem Geburtstagsbesuch dabei, wo das Wohnzimmer prall gefüllt war mit Angehörigen, Mitgliedern des Schützenvereins, Nachbarn und anderen Bekannten - auf der anderen Seite war ich auch schonmal bei einem Geburtstagsbesuch dabei, wo nur ein Ehepaar an einem kleinen Frühstückstisch saß. Bei beiden Malen (und auch jedem anderen Besuch, den ich begleitet habe) herrschte eine sehr warme und glückliche Atmosphäre.

Dabei lerne ich auch wieder die unterschiedlichen Facetten Mensch kennen, die dieser Gemeinde ihren Charakter verleihen und komme wieder mit Menschen in Kontakt, die ich aus den Augen verloren hatte. Einmal klingelten wir an einer Tür, die dann nicht direkt vom Geburtstagskind, sondern von deren Enkeltochter, die zufälligerweise auch in meinem Abiturjahrgang war, geöffnet wurde. Dieser Besuch gab mir die Möglichkeit, mich nochmal mit ihr auszutauschen und einen frischen Einblick in ihr Leben zu gewinnen.

Eine weitere Situation, in der ich ein Gemeindemitglied zuhause besucht habe, bot sich letzte Woche. Einige Menschen, die gesundheitliche und/oder finanzielle Probleme haben, können bspw. über das ökumenische Sozialbüro Dienste von der Gemeinde in Anspruch nehmen. Einer dieser Dienste besteht aus dem Lebensmitteleinkauf für Personen, die selber nicht in der Lage sind, einkaufen zu gehen. In der Regel ist das ein Dienst, der von Ehrenamtlichen geleistet wird, aber letzte Woche habe ich ihn einmal vertretungsweise übernommen. Ich bin mit einer detaillierten Liste und 50€ in den Supermarkt gegangen, habe die Produkte von der Liste gekauft und bin zu der Heimatadresse des Gemeindemitglieds gefahren, wo ich die Einkäufe und das Rückgeld übergeben habe. Im Gegenzug bekam ich die 50€ zurückgezahlt, etwas Trinkgeld und freundliche, konstruktive Kritik bezüglich der Produkte, bei denen ich mich in bestimmten Eigenschaften vertan hatte.

Solche Aufgaben sind auch wieder ein Schritt außerhalb meiner Komfortzone; aber auch ein Schritt auf Menschen zu - und darauf kommt's an!

Der Mensch hinter dem Amt

Lesedauer: ca. 3 min

 

Pastoralreferent Florian Schulz

 

Was sind deine Aufgaben in der Gemeinde?

Als Pastoralreferent habe ich ein buntes Portfolio an Aufgaben. Neben dem Feiern von Gottesdiensten in den KiTas und mit den Grundschulen, darf ich mir auch Gedanken machen zur KiTa-Pastoral und habe seit dem 2. Schulhalbjahr auch in allen drei Grundschulen Kontaktsunden in den 4. Klassen, bzw. in Gelmer in den 3. und 4. Klassen.

Ich darf Wortgottesdienste planen und feiern, die Frohe Botschaft in den Messen auslegen und versuche sie mit meinen Worten in die heutige Zeit zu übersetzen. Ich besuche Menschen an ihren Geburtstagen und darf generell Menschen in verschiedenen Lebensabschnitten begleiten.

Der große Schwerpunkt meiner Arbeit liegt allerdings in der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen.
Zusammen mit einem tollen Team darf ich die Jugendlichen auf den Empfang der Firmung vorbereiten.
Mit Pfarrer Jürgen Streuer zusammen begleite ich die Messdiener unserer Pfarrei.
Ebenso bin ich Ansprechpartner für die KLJB (Landjugend) und seit dem 1. Advent 2022 auch Kurat des Pfadfinderstammes St. Petronilla. Hier muss ich mich aber noch reinfuchsen.

So fällt mir auch die Aufgabe zu, den Sachausschuss Jugend zu leiten. Wir treffen uns da mit den Jugendgruppen und -verbänden, sowie der Leitung des Jugendzentrums „Drei Eichen“, um die Arbeit für und mit den Kindern und Jugendlichen zu koordinieren.

Ich darf noch in weiteren Ausschüssen mitwirken.

  • Ausschuss für Ehe, Familien und andere Lebensformen
  • Liturgieausschuss
  • Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit

Dazu darf ich noch meine Kolleginnen und Kollegen in der MitarbeiterInnenvertretung der PastoralreferentInnen und PastoralassistentInnen vertreten, beraten und begleiten.

 

Wie bist du dazu gekommen, hier zu arbeiten?

Mein Weg war definitiv nicht gerade. Ich bin aufgewachsen im oldenburgischen Teil unseres Bistums in Ganderkesee. Dort habe ich schon früh Kirche und Glaube als faszinierend und bereichernd erfahren und habe mit sieben Jahren den Wunsch geäußert, Papst zu werden. Ich habe dann auch die sogenannte Sakristeikarriere durchlaufen. (Messdiener, Gruppenleiter, Obermessdiener)
Dieser Wunsch hat sich in den folgenden Jahren eher verwässert, so wollte ich zwischenzeitlich auch mal Bankkaufmann werden, aber in der liturgischen Nacht, die damals Gründonnerstags in der Nachbarpfarre stattfand, habe ich mich entschlossen, katholische Theologie zu studieren und Pastoralreferent zu werden. Diesen Beruf hatte ich in der Zwischenzeit kennengelernt und festgestellt, dass es mein Weg sein kann, meine Berufung zu leben.

Während des Studiums kamen aber nochmal die Gedanken auf, ob ich nicht doch Priester werden möchte, sodass ich für anderthalb Jahre ins Borromäum einzog, aber dann auch wieder auszog. 2010 habe ich dann meine Ausbildung zum Pastoralreferenten angefangen. Meine Assistenzzeit führte mich nach Rheine in die Pfarrei St. Elisabeth und Michael, die inzwischen zur Pfarrei St. Dionysius fusioniert ist. Nach der Ausbildung ging es für mich ins Oldenburger Münsterland nach Lohne. Nach zwei Jahren zog es mich der Liebe wegen aber wieder ins Münsterland nach Ostbevern. Und seit dem 1. April 2021 bin ich nun hier in St. Petronilla in Münsters Nordosten tätig.

 

Was gefällt dir am meisten an deinem Beruf?

Freude bereitet es mir, dass eigentlich kein Tag dem anderen gleicht. Es gibt so viele verschiedene Aufgaben in der Pastoral, die meine Arbeit einfach bunt machen. Ebenso gibt es immer wieder neue anregende Begegnungen mit Menschen, denen nicht nur ich Begleiter im Glauben sein darf, sondern die auch mich begleiten, bereichern, hinterfragen und auch meinen Horizont erweitern.

 

Wie würdest du deine Persönlichkeit beschreiben?

Offen für Menschen und neugierig auf Unbekanntes. Dabei bin ich definitv nicht angstfrei. Aber ich habe Gottvertrauen, dass (mir) vieles gelingen mag. Ich brauche Gemeinschaft zum Leben und Wirken, aber manchmal sehne ich mich auch nach Stille, in der ich meinem Glauben, meinen Fragen und Gedanken nachgehen kann.

 

Was ist deine größte Leidenschaft?

Zur Zeit sicherlich meine Familie! Es ist wunderbar zu sehen, wie unsere beiden Kinder aufwachsen, wie sie immer wieder Neues für sich entdecken. Ihre Neugierde, ihre Offenheit und ihr Vertrauen sind eine große Freude.

 

Was sollte man noch über dich wissen?

Es gibt noch einige Leidenschaften in meinem Leben:

Ich bin Karnevalist. Ich bin Werder-Fan. Ich liebe die Musik. Und manchmal binge ich Serien.

Die Wahrheiten im Wort

Lesedauer: ca. 8 min

 

Im folgenden Abschnitt wird unter anderem das Thema Suizid behandelt. Wenn dich das Thema triggert oder du anderweitig nicht gut damit umgehen kannst, lies bitte nicht weiter. 

 

"Elija geriet in Angst, machte sich auf und ging weg, um sein Leben zu retten. Er kam nach Beerscheba in Juda und ließ dort seinen Diener zurück. Er selbst ging eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, HERR. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter. Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein. Doch ein Engel rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Als er um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder hin. Doch der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal, rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich. Da stand er auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb."

1. Kön. 19, 4 - 8

 

Dies ist ein Ausschnitt aus der Geschichte des Propheten Elija - eine fantastische, vielschichtige Erzählung, über die ich hier vermutlich noch öfter schreiben werde. Und an dieser Stelle begegnen wir einer dunklen Facette des Menschen, die es offensichtlich auch schon seit Jahrtausenden gab und auch heute noch existiert: Suizidalität.

Da dies ein Thema ist, über das ungerne gesprochen wird, finde ich es bemerkenswert, dass es hier, in dieser biblischen Erzählung über einen der bedeutendsten alttestamentarischen Propheten (der zugleich mein Namenspatron ist), auftaucht. Es ist auch wichtig, darüber zu sprechen, damit Stigmatisierung und Unverständnis vermieden wird, betroffene Personen merken, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht alleine sind und schließlich langfristige Präventionsmaßnahmen ergriffen werden können.

Als erstes muss man begreifen, dass Suizidalität nicht gleich Suizidalität ist. Sie kann mit Anlass, aber auch ohne Anlass aufkommen und sie muss nicht immer durch eine psychischen Störung entstehen. Allerdings gibt es manche Eigenschaften, die oft (aber auch nicht immer)  mit Suizidalität einhergehen. Einige davon findet man auch in dieser biblischen Erzählung wieder.

 

Auffällig ist beispielsweise Elijas Mangel an sozialen Ressourcen. Anders als bei nahezu allen anderen bedeutenden biblischen Figuren erfährt man nichts über seine Familie; dabei ist es insbesondere im alten Testament gang und gäbe, Personen vorzustellen, indem erstmal eine Seite lang deren Stamm, Vorfahren und weitere Verwandte aufgezählt werden. Und auch Freundschaften oder ähnliche Partnerschaften schließt der Prophet Elija erst zum Ende seines Wirkens (also nach dem zitierten Abschnitt). Der einzige Mensch, der in seinem Leben eine Rolle spielt - aber ihm auch nicht wirklich nahesteht - ist sein Diener und auch den lässt er zurück kurz vor seiner Reise in die Wüste, wo seine Suizidgedanken aufkommen. Solch eine Isolation von jeglichen sozialen Kontakten erhöht die Gefahr, sich selbst gefährlich zu werden, maßgeblich. Das ist auch eine Erfahrung, die ich persönlich gemacht habe. Schon seit dem Grundschulalter hatte ich immer mal wieder Suizidgedanken und auch mehrere Versuche unternommen. Und je länger mich diese Gedanken begleiteten, desto mehr löste ich meine sozialen Kontakte auf, obgleich ich von großartigen Menschen umgeben war, mit denen ich leicht hätte Bindungen aufbauen können. Wie gesagt, kann man bei Suizidalität so gut wie keine allgemeinen Aussagen treffen, doch die Isolation von anderen Menschen ist ein Phänomen, das in diesem Zuge sehr oft zu beobachten ist. 

Was man auch in diesen Versen sieht, sind die hohen Erwartungen, die Elija an sich selbst stellt, die zwangsläufig zu Enttäuschung und Frust führen. Er sagt: "HERR, nimm mein Leben, denn ich bin nicht besser als meine Väter." Für mich drückt das deutlich aus, dass er zutiefst enttäuscht von sich ist, weil er vorhatte, durch sein Wirken im Nordreich Israel unermessliches zu erreichen und das gesamte Volk von einen Tag auf den nächsten zurück zum Glauben zu bringen. Sich Ziele zu setzen ist gut und wichtig, aber von sich zu erwarten, jedes dieser Ziele zu erreichen, ohne sich selbst mit Rücksicht und Gnade zu begegnen, ist sehr ungesund. Auch das habe ich selbst erlebt; mir war es schon immer wichtig, ein guter Mensch zu sein. Dieser Wunsch hatte auch die positive Folge, dass ich zu einem höflichen und verlässlichen Menschen mit einem 1,0er-Abitur wurde, entwickelte sich aber schnell zur Überzeugung, ein perfekter Mensch sein zu müssen. Wenn man solche unmöglichen Erwartungen stellt, wie es auch der biblische Elija tat, steuert man geradewegs auf übermäßige Selbstkritik und schlimmstenfalls Selbsthass zu.

Was man auch sehr gut an der Geschichte sehen kann, ist die Tatsache, dass Suizid sehr oft etwas mit Kontrolle zu tun hat. Es mag einem vielleicht etwas verwirrend vorkommen, dass die Sätze "[Er] ging weg, um sein Leben zu retten." und "[Er] wünschte sich den Tod." nur einen Vers voneinander entfernt sind, doch ich denke, dass das nicht total sinnlos ist. Erstens scheinen die Suizidgedanken des biblischen Elijas nicht chronisch, sondern aus konkreten Anlass entsprungen zu sein und zweitens ist es schon etwas anderes, verfolgt und gejagt zu werden, als sich selbst gegen das Leben zu entscheiden. Sehr oft ist ein (meist unterbewusster) Beweggrund für selbstschädigendes Verhalten ein Gefühl von Kontrollverlust, dem man entgegenwirken will, indem man über sich selbst auf extreme Weise entscheidet. Ich denke, die wenigsten von uns werden - so wie Elija - aktiv von einem ganzen Königreich verfolgt; für unsereins zeigt sich dieser Kontrollverlust vielleicht in Zukunftsängsten oder Überforderung durch die Ansprüche, die an einen gestellt werden.

Im Falle des Propheten Elija scheinen (so wie bei sehr vielen Betroffenen) die Suizidgedanken eine Begleiterscheinung einer Depression zu sein. Er bleibt tagelang an der gleichen Stelle liegen und kann die guten Sachen, die ihm geschenkt werden, kaum wahrnehmen, geschweige denn wertschätzen. Dieser Sog der Negativität und Kraftlosigkeit sind typische Symptome von Depressionen. Dies ist aber interessanterweise ein Unterschied zwischen dem biblischen Elija und mir. Auch nach mehreren Untersuchungen wurden keine psychischen Krankheiten/Störungen bei mir erkannt. Ich hätte es zwar cool gefunden, hätten die eine neue Krankheit nach mir benannt, aber schlussendlich war das Ergebnis, dass die Suizidalität definitiv ein Problem ist, mit dem ich lernen muss, umzugehen, aber bei mir nicht im Rahmen eines klassischen Krankheitsbildes auftaucht. Das ist auch etwas, das im Moment für viele noch unverständlich ist, aber hoffentlich auch bald ins allgemeine Bewusstsein kommt: Suizid ist zwar oft, aber nicht zwangsläufig, eine Folge konkreter psychischer Erkrankungen.

 

Diese Verse sind auch beeindruckend, weil nicht nur Suizidalität in einem starken, zentralen Propheten gezeigt wird, sondern auch gezeigt wird, wie er da wieder rauskommt. Kurz nachdem erstmals seine Suizidgedanken und seine depressiven Symptome auftauchen, wird Elija von einem Engel besucht, der sich um ihn sorgt und dazu bringt, wieder aufzustehen und weiterzuziehen. Durch die Hartnäckigkeit des Engels ist Elija schließlich dazu bewegt, tatsächlich wieder Mut zu fassen und zum Berg Horeb zu wandern.

An dem Verhalten des Engels kann man sich ein Beispiel nehmen, wenn man einen Mensch in seinem Leben hat, der suizidgefährdet ist. Diese Art, der Person mit Fürsorge zu begegnen, aber sie auch hartnäckig dazu zu bewegen, am Leben und der Außenwelt wieder teilzuhaben, obwohl man womöglich abgewiesen wird, ist auch noch tausende Jahre nach der Verfassung dieser Texte ein empfohlener Umgang. Auf die heutige Zeit bezogen, käme bestenfalls noch dazu, dass man der betroffenen Person hilft, sich professionelle Hilfe (bspw. über den Hausarzt oder Seelsorgende) zu besorgen und stets auch auf seine eigenen Bedürfnisse und Grenzen achtet.

Das große Glück, das Elija unter dem Ginsterstrauch hat, liegt darin, dass ihm sehr frühzeitig geholfen wird. Kaum äußert er einen Todeswunsch, kommt der Engel. Dieses Glück haben viele Menschen mit ähnlichen Problemen nicht. Bei mir lagen beispielsweise fast zehn Jahre zwischen meinem ersten suizidalen Verhalten und dem ersten Mal, dass ich mit jemanden darüber gesprochen habe. Da gab es dann natürlich viel mehr aufzuarbeiten als hätte ich mich früher damit auseinandergesetzt. Lasst uns daraus lernen, uns frühzeitig bei den geeigneten Menschen zu melden, wenn wir merken, dass wir eine Gefahr für uns selbst werden, denn - anders als der Engel in dieser Geschichte - ist es unwahrscheinlich, dass die Menschen um einen herum das direkt erkennen und ansprechen. Doch daran kann auch gearbeitet werden, indem man seinen Liebsten vorsichtig Fragen nach ihrem Wohlbefinden und psychischem Zustand stellt, wenn man sich Sorgen um sie macht. Natürlich ist das für alle Beteiligten äußerst unangenehm, aber manchmal womöglich notwendig - solang man dabei auf seine eigenen Grenzen und die Grenzen des Gegenübers achtet und in einem sicheren Rahmen darüber spricht.

Da stellt man sich die Frage: "Wie können wir solche Gespräche normaler machen?". Ich denke, ein wichtiger Teil der Antwort liegt in der Sichtbarmachung des Phänomens; so habe ich beispielsweise erst angefangen, mich um meine Suizidalität zu kümmern, nachdem ich den Kurzroman "Worüber wir nicht reden wollen" von Maike Hagel, in dem es genau um diese Thematik geht, gelesen habe. Dadurch, dass ich in dem Buch gesehen habe, dass es die Möglichkeit gibt, darüber zu reden, habe ich mich getraut, genau das zu tun. Daher ist es auch so bemerkenswert, dass das Thema auch in dem Bestseller schlechthin - der Bibel - zwar kurz, aber reflektiert, aufgegriffen wird. Je mehr in allgemeinen Medien darüber gesprochen wird - natürlich in sicheren Rahmen (bspw. mit Hilfe solcher Hinweise wie zu Beginn dieses Abschnitts) - desto mehr löst sich das Stigma auf und mehr Leute trauen sich, darüber zu reden, ohne das Gefühl zu bekommen, das nur für Aufmerksamkeit zu tun oder sich anzustellen.

Dass mit dem ersten Schritt aus der Dunkelheit noch nicht alles getan ist, zeigen diese Verse auch auf wunderbare Weise. Nachdem Elija aufsteht, landet er nicht direkt am Gottesberg Horeb. Nein, erst wandert er vierzig lange Tage durch die Wüste. Diese vierzig Tage werden auch im neuen Testament, wo Jesus vierzig Tage in der Wüste fastet bevor Er mit seinem Wirken beginnen kann, aufgegriffen. Und so finden wir auch eine Widerspiegelung dessen in der heute beginnenden Fastenzeit wieder: eine Zeit, in der man reflektieren kann, was einem wichtig und heilig ist und lernt, völlig im Reinen mit sich zu sein. Doch auch außerhalb der Fastenzeit können solche aufschlussreichen inneren Reisen bezwungen werden; Kleriker (und auch manche nicht-Kleriker) tun dies beispielsweise durch Exerzitien. Meine metaphorischen vierzig Tage in der Wüste waren eine vier-monatige Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Ende 2021 bis Anfang 2022. So wie Elijas Wanderung durch die Wüste war das eine äußerst zielführende, erkenntnisreiche, aber auch herausfordernde Zeit, aus der ich stärker und weiser herausgekommen bin.

Ich möchte zwar niemanden einen Klinikaufenthalt wünschen, aber ich hoffe, ihr alle erlebt irgendwann mal eure persönlichen vierzig Wüstentage, in denen ihr an eure Grenzen kommt, über euch hinauswachst und lernt, wer ihr wirklich seid - vielleicht sogar in dieser Fastenzeit.